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  1. Analyst Insights

Die Automobilindustrie in der Coronakrise – Kfz-Branchen am Scheideweg

Die Automobilindustrie in der Coronakrise – Kfz-Branchen am Scheideweg

Written by

Alexandra Janosch

Alexandra Janosch
Editor Published 30 May 2022 Read time: 7

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30 May 2022

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7 minutes

Die Coronakrise als Katalysator des Strukturwandels

Lieferengpässe, Produktionsstopps, Kurzarbeit und Werksschließungen – die Coronavirus-Pandemie hat die Automobilhersteller und Automobilzulieferer im Jahr 2020 mit voller Wucht getroffen und seitdem zu vielschichtigen Verwerfungen geführt, die den gesamten Sektor auch in Zukunft prägen werden.

Die Kraftfahrzeugindustrie befindet sich inmitten eines grundlegenden Transformationsprozesses. Der wesentlichste Trend ist dabei der Umstieg von konventionellen Antriebssystemen mit Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren. Dieser Strukturwandel war im Ansatz zwar schon seit einigen Jahren erkennbar, doch hat die Coronakrise diese Entwicklung beschleunigt. Der Druck auf die Automobilwirtschaft nahm auch durch die Nachhaltigkeitsbestrebungen und die neu festgelegten Klimaziele der Europäischen Union zu.

Zwar war der Ausbruch des Coronavirus selbst nicht der Grund für die Trendwende, doch erzwang die coronabedingte Branchenkrise bei allen Akteuren durch die Verschärfung des Wettbewerbs und den Anstieg des Rohölpreises sowie des Digitalisierungsgrads eine stärkere Fokussierung auf Zukunftsthemen. Der Trend zur Elektromobilität bedeutet nicht nur die Abkehr von herkömmlichen Antriebstechnologien, sondern auch eine völlig neue Konzeption von Fahrzeugen. Die Elektromobilität ist dabei nur ein Bestandteil. Die neuen Fahrzeuge sollen sicherer und nutzerfreundlicher werden und erhalten daher neue Bauteile, die ein hohes Maß an Vernetzung und Konnektivität erfordern. Softwarebasierte Fahrassistenten gehören mittlerweile zum Standard bei Neufahrzeugen und der Trend geht zum autonomen Fahren und zu Karosserien in Leichtbauweise. Die Leichtbauweise dient der Gewichtsreduktion der Fahrzeuge und soll die Treibstoffkosten senken, dies stellt die Automobilindustrie jedoch vor große Herausforderungen. Die Gewichtsreduktion, die meist durch den Einsatz von Aluminium und Verbundwerkstoffen und eine Minimierung des Anteils von Stahl erzielt wird, soll nicht nur den Treibstoffverbrauch der neuen Fahrzeugmodelle senken, sondern auch die CO2-Emissionen und die Herstellungskosten.

Dabei setzen die Hersteller jedoch nicht nur auf den Austausch schwerer Materialien durch leichtere Baustoffe, sondern wenden auch innovative Produktionsmethoden an. Indem beispielsweise die herkömmlichen, kalt umgeformten Bauteile durch warm umgeformte Teile ersetzt werden, kann das Gewicht des Bauteils bis zur Hälfte reduziert werden. Der Einsatz von nachhaltigen Materialien gewinnt zudem besonders im Interieur der Fahrzeuge immer mehr an Bedeutung. Recyceltes Garn, das aus alten PET-Flaschen gewonnen wird, kann zu Sitzbezügen verarbeitet werden und Dämmmaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen wie Kokosfasern und Reishülsen werden bereits von einigen Herstellern zur Isolierung der Türen verwendet.

Automobilindustrie

Im Jahr 2020 kam es, bedingt durch die Verschlechterung des Konsumklimas angesichts des Ausbruchs des Coronavirus, in der Branche der Herstellung von Kfz zu einem Nachfragerückgang, der sich in einem starken Umsatzeinbruch äußerte und Gewinneinbußen nach sich zog. Aufgrund von Produktionsstopps in China konnten wichtige Vorprodukte nicht mehr von den dortigen Zulieferern bezogen werden, was die Automobilindustrie vor große Probleme stellte, allerdings traf der Einbruch der Nachfrage nach Branchenprodukten auf dem chinesischen Markt den Automobilsektor in Deutschland noch härter. Die Nachfrage Chinas nach deutschen Automobilen kam im Februar 2020 beinahe vollständig zum Erliegen. Die Kfz-Hersteller mussten daher ihre Produktion drosseln und teilweise sogar einstellen. In der Folge konnte ein Großteil des Personals nur noch in Kurzarbeit beschäftigt werden.

Anfang 2021 hellte sich das Konsumklima wieder auf. Vor allem eine hohe Nachfrage aus dem Ausland, insbesondere aus den USA und China, trug zum Umsatzwachstum im zweiten Pandemiejahr bei. Im Verlauf des Jahres gerieten die Automobilhersteller jedoch erneut in Bedrängnis, da Lieferengpässe bei Vorprodukten, vor allem bei Halbleitern, dazu führten, dass die Nachfrage nicht vollständig bedient werden konnte. Es kam somit erneut zu Unterbrechungen der Produktion.

Halbleitermangel das Aus für Kleinwagen?

Zwar waren 2021 auch andere Grundstoffe der Produktion wie Stahl oder Magnesium, das notwendig für die Herstellung von Aluminium ist, zunehmend schwerer zu beziehen, doch der sich intensivierende Mangel an Halbleitern, der immer noch besteht und als Spätfolge des Coronavirus-Ausbruchs betrachtet werden kann, führte zu den größten Verwerfungen innerhalb der Branche der Herstellung von Kfz-Teilen und -Zubehör. Infolge der rückläufigen Absätze im Jahr 2020 wandten sich viele Hersteller von Halbleitern neuen Märkten zu, um ihre Produkte abzusetzen. Die Branche der Herstellung von Elektrofahrzeugen rückte dadaurch als Absatzmarkt verstärkt in den Fokus. In Elektrofahrzeugen werden wesentlich mehr Chips verbaut als in Pkw mit herkömmlichen Antrieben. Doch auch hier führt die verstärkte Digitalisierung, beispielsweise in Form immer leistungsfähigerer Fahrerassistenzsysteme, zu einem erhöhten Bedarf an Halbleiterkomponenten.

Da sich die Lieferengpässe bei Halbleitern 2021 verstärkten, mussten viele Hersteller wie Mercedes, Audi, BMW und Volkswagen ihre Produktion zurückfahren. Um ihre Marktposition trotz sinkender Umsätze nicht zu gefährden, verlagerten einige Kfz-Hersteller ihren Produktionsschwerpunkt auf hochpreisige und margenträchtige Fahrzeuge sowie auf das Luxussegment. Die wertvollen Halbleiter wurden also vorrangig in teuren Pkw-Modellen verbaut. 2021 konnten die Branchenakteure, die diese Strategie verfolgten, überraschend hohe Gewinnmargen erzielen.

Dieser Erfolg dürfte auch in den nächsten Jahren zu einer Neuorientierung hin zu margenstarken Pkw-Modellen führen. Die Halbleiterknappheit sorgte im Umkehrschluss insbesondere bei Kleinwagen für eklatante Produktionsrückgänge und für sehr lange Wartezeiten, die Käufer von Neuwagen dieses Fahrzeugsegments hinnehmen mussten. Diese Verkettung von ungünstigen Umständen trug 2021 zwar zu Umsatzverlusten bei, doch wird es 2022 voraussichtlich zu Nachholeffekten kommen, die zu einem signifikanten Umsatzzuwachs der Kfz-Hersteller führen dürften.

Kfz-Handelsbranchen

Ein Großteil der Importe diverser Kfz-Bauteile, elektronischer Komponenten und von Kfz-Zubehör wird über den Großhandel mit Kfz-Teilen und -Zubehör abgewickelt. Die Produktionsausfälle bei Herstellern in China und Italien sowie schärfere Grenzkontrollen führten 2020 schon zu Lieferengpässen und auch 2021 war die Situation aufgrund des Halbleitermangels sehr angespannt.

Zudem war in den Jahren 2020 und 2021 das Nachfrageniveau der Hersteller von Kraftwagen, der Kfz-Werkstätten sowie des Einzelhandels mit Kfz-Teilen und -Zubehör im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 deutlich verringert. Der stationäre Einzelhandel mit Kraftwagenteilen und -zubehör musste während der Lockdowns geschlossen bleiben. Dies führte zu Umsatzverlusten bei Autohäusern und Einzelhandelsgeschäften der Branche.

Zwar konnte sich der Kfz-Teilemarkt im Vorjahr leicht erholen, doch dürften die Umsätze der Kfz-Handelsbranchen auch 2022 noch unter dem Vorkrisenniveau liegen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, scheint sowohl für den Kfz-Großhandel als auch für den Kfz-Einzelhandel kein Weg daran vorbeizuführen, in digitale Vertriebskanäle zu investieren und die Angebotspalette stärker auf die im Trend liegenden Elektrofahrzeuge auszurichten.

Pkw-Vermieter

Aufgrund der Pandemie verzeichneten die Vermieter von Pkw 2020 und 2021 einen starken Rückgang der Buchungszahlen im Vergleich zu den Vorjahren, da sowohl Geschäfts- als auch Privatkunden größtenteils auf Reisen verzichteten und somit auch kaum Bedarf an Mietfahrzeugen bestand. Zudem entstanden den Branchenakteuren zusätzliche Materialkosten durch die verstärkten Hygienemaßnahmen.

Da virtuelle Meetings während der Pandemie an Bedeutung gewonnen haben, dürften auch nach der Pandemie seltener Geschäftsreisen angetreten werden, wodurch der Branche ein wichtiges Standbein wegbricht. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, versucht die Sixt SE bereits Elemente aus verwandten Branchen wie dem Carsharing mit ihrem Geschäftskonzept zu kombinieren. Diesem zukunftsweisenden Ansatz dürften weitere Branchenakteure folgen. Die ausgedehnten Stationsnetze der führenden Pkw-Vermieter bieten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den lokal agierenden Carsharing-Anbietern und dürften diese Expansionsbestrebungen unterstützen.

Carsharing-Anbieter

Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie und die daraufhin erlassenen Eindämmungsmaßnahmen wie beispielsweise Kontaktbeschränkungen hatten auch negative Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung der Carsharing-Anbieter. Da die Mobilität der Menschen besonders während der Lockdowns der Jahre 2020 und 2021 stark abnahm, kam es zu gravierenden Buchungs- und Umsatzrückgängen im Carsharing-Bereich. Eigentlich sind Carsharing-Fahrzeuge für preisbewusste Verbraucher aufgrund der geringeren Kosten im Vergleich zu Mietwagen attraktiver, der Umstand, dass sie nicht nach jeder Fahrt desinfiziert werden können, erwies sich angesichts der Coronavirus-Pandemie jedoch als entscheidender Nachteil gegenüber den klassischen Mietwagen.

Die Situation gestaltete sich besonders schwierig für Anbieter, deren Standorte sich im Umland größerer Städte und in kleinen Städten oder im ländlichen Raum befinden. Dagegen verloren Anbieter mit Standorten in Großstädten weniger Kunden und gewannen sogar neue Kunden hinzu, weil viele Verbraucher aus Angst vor einer Ansteckung den öffentlichen Nahverkehr nicht mehr in Anspruch nehmen wollten und auf andere Transportmittel umgestiegen sind. Einige dieser neuen Kunden könnten den städtischen Anbietern auch nach dem Abklingen der Coronakrise erhalten bleiben, da sie den Komfort, den dieses Mobilitätskonzept im Vergleich zum Öffentlichen Nahverkehr bietet, nicht mehr missen möchten. Durch diesen Wettbewerbsvorteil dürften sich ihre Umsätze 2022 schneller stabilisieren als die der Anbieter im ländlichen Raum.

Was bringt die Zukunft?

Die Auswirkungen der Coronakrise werden die Wirtschaft noch über einige Jahre hinweg belasten und nach wie vor leiden viele Branchen unter Lieferschwierigkeiten und geringen Absätzen. Im Hinblick auf die Automobilindustrie muss die Situation jedoch differenzierter betrachtet werden. Die Pandemie hält weiterhin an und der Halbleitermangel stellt die Automotive-Branchen vor immense Herausforderungen, dennoch zeigt sich allmählich, dass sich der Sektor aufgrund der fortdauernden Problematik zunehmend in Gewinner und Verlierer aufteilt.

Einerseits kämpfen viele Zulieferer um ihre Existenz, andererseits generieren die Kfz-Hersteller aufgrund ihrer Konzentration auf margenträchtige Modelle immense Gewinne, obwohl ihre Absätze im Vergleich zu den Jahren vor der Coronakrise rückläufig sind. Da sich die Hersteller immer stärker auf die Produktion von Elektroautos fokussieren und deutlich mehr entsprechende Bauteile selbst herstellen dürften als bisher, kommen auf die Automobilzulieferer in ihrem ohnehin schwierigen Marktumfeld schwere Zeiten zu. Da ihre Absatzchancen zunehmend schwinden dürften, scheint die schnelle Umstellung der Produktion auf Bauteile für den Leichtbau und die Elektromobilität der einzige Ausweg aus der Abwärtsspirale zu sein.

Doch nicht nur die Zulieferer von Kfz-Bauteilen müssen sich neu orientieren. Alle Akteure des Sektors müssen sich durch Investitionen in Elektromobilität, Nachhaltigkeit und Digitalisierung neue Wettbewerbsvorteile erarbeiten. Die Automobilindustrie ist nicht an der Coronakrise gescheitert, wurde durch sie aber vor große Herausforderungen gestellt, die es nun zu meistern gilt.

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