Die Coronavirus-Krise und der Ukraine-Konflikt haben die Preise für Chemikalien deutlich erhöht
Der ohnehin recht volatile Weltmarktpreis für Rohöl reagiert in der Regel sehr sensibel auf Krisen wie die Coronavirus-Pandemie oder den Ukraine-Konflikt. Da Chemikalien hauptsächlich aus Rohölbestandteilen und zu einem geringeren Grad aus Erdgasbestandteilen hergestellt werden, ist die Umsatzentwicklung des Chemiesektors eng mit der Entwicklung des Weltmarktpreises für Rohöl verbunden. Dessen Umsätze unterliegen seit dem Ausbruch der Pandemie ebenfalls starken Schwankungen.
Strukturen des Chemiesektors
Die Hersteller von organischen und anorganischen Grundstoffen beziehungsweise Basischemikalien produzieren oder bereiten chemische Stoffe wie Kohlenwasserstoffe auf und verkaufen diese, teilweise über den Umweg des Großhandels mit chemischen Erzeugnissen, an Akteure des Chemiesektors, die diese weiterverarbeiten. Hierzu zählen beispielsweise die Hersteller von Chemiefasern und von Schädlingsbekämpfungsmitteln.
Die Preisbildung im Chemiesektor hängt in vielen Fällen noch stärker vom Rohölpreis und teilweise vom Erdgaspreis ab als von der generellen Nachfrage nach Chemikalien. Letztere wird wiederum durch einen hohen Rohölpreis gedämpft beziehungsweise durch einen niedrigen Rohölpreis gesteigert. Bei einem hohen Rohölpreis, der zu höheren Preisen für Chemikalien führt, lohnt sich die Produktion vieler chemiehaltiger Güter ab einem gewissen Punkt nicht mehr, da sich diese nicht mehr kostendeckend produzieren lassen.
Im Chemiesektor liegt die Besonderheit vor, dass Produzenten von Basischemikalien besser dazu in der Lage sind, Preissteigerungen bei den Rohstoffen an ihre Abnehmer weiterzugeben, als dies in nachgelagerten Chemiebranchen möglich ist. Insbesondere bei Rohöl ist dies der Fall. Dies hängt damit zusammen, dass sich die Preisbildung bei den Basischemikalien aufgrund der gewachsenen Struktur des Chemiesektors stärker an der Entwicklung des Weltmarkts orientiert.
Preisdruck auf deutsche Branche
Die Produktion von Chemikalien ist sehr energieintensiv. Dies stellt für den deutschen Chemiesektor eine besondere Herausforderung dar, da die Strompreise in Deutschland, auch für den vergünstigten Industriestrom, zu den höchsten weltweit zählen. Auf die Gehaltskosten trifft dies ebenfalls zu, allerdings weisen andere Hochlohnländer wie Frankreich einen deutlich günstigeren Strompreis auf.
In einer Phase in der Chemikalien wegen eines hohen Rohölpreises besonders teuer sind, wie es 2022 der Fall ist, sind die Abnehmer noch stärker als sonst gezwungen, Einkaufspreise miteinander zu vergleichen. Bei vergleichbaren Chemikalien fallen diese in Deutschland wegen der hohen Produktionskosten deutlich teurer aus als in anderen Produktionsländern. Allerdings sind beim Bezug von Chemikalien aus dem Ausland auch weitere Faktoren wie die Transportkosten und die Lieferzeiten zu berücksichtigen.
Die inländischen Produktionsstandorte des deutschen Chemiesektors arbeiten oft eng mit inländischen Abnehmern zusammen. Dies trifft besonders auf die Produzenten von Spezialchemikalien zu. In diesem Produktsegment können deutsche Chemieunternehmen durch ihr im internationalen Vergleich hohes Know-how punkten. Allerdings können sie dennoch aus Kostengründen gezwungen sein, die Produktion ins Ausland zu verlagern.
Sicherungsgeschäfte
Die Akteure im Chemiesektor versuchen sich häufig durch Sicherungsgeschäfte vor zu starken Preisanstiegen zu schützen. Sicherungsgeschäfte gibt es zudem auch zwischen den Akteuren des Chemiesektors und ihren Abnehmern. Der Vorteil solcher Sicherungsgeschäfte ist zwar, dass zu starke Preisanstiege vermieden werden, allerdings besteht die Gefahr, dass die Rohstoffe zu überhöhten Preisen abgenommen werden müssen. Die Sicherungsgeschäfte mildern die Folgen der Volatilität von Einflussfaktoren wie z.B. dem Rohölpreis auf den Chemiesektor dennoch ab.
Folgen der Coronavirus-Krise
Die Coronavirus-Krise hat 2020 weltweit zu einem Einbruch des Produktionsvolumens der Industrie geführt. Zugleich gab es im Frühjahr 2020 einen deutlichen Preisverfall bei den meisten Rohstoffen wie bei Rohöl. Dieser Preisverfall hatte zur Folge, dass auch die Produktion von Chemikalien und somit deren Verkaufspreise erheblich günstiger wurden. Aufgrund des geringeren Produktionsvolumens der Industrie sank die Absatzmenge an Chemikalien insgesamt aber dennoch.
Im Herbst 2020 begannen viele Industrieunternehmen damit, ihre zuvor durch das Ausbleiben von Nachkäufen abgebauten Lagerbestände an Rohstoffen aufzufüllen. Dieser Umstand verbunden mit gleichzeitigen Engpässen in der Branche der Seefrachtschifffahrt führten zu einem enormen Anstieg des Preisniveaus vieler Rohstoffe. Der pandemiebedingte Sondereffekt dürfte noch bis zur zweiten Jahreshälfte 2022 andauern, in deutlich abgeschwächter Form teilweise auch noch bis 2023.
Zwar mussten die Akteure des Chemiesektors 2021 ihre Lagerstätten zu überhöhten Preisen mit Rohstoffen auffüllen, aber dennoch konnten diese Mehrkosten im Chemiesektor, im Gegensatz zu anderen Sektoren, durch das Durchsetzen von Preisaufschlägen am Markt mehr als ausgeglichen werden. Daher konnte die Chemiebranche 2021 eine deutlich höhere Gewinnmarge als in den Vorjahren verzeichnen.
Ukraine-Konflikt
Der Ukraine-Konflikt hat zu einem nochmaligen deutlichen Anstieg des allgemeinen Rohstoffpreisniveaus geführt. Bezogen auf den Chemiesektor ist hierbei relevant, dass Russland ein sehr wichtiger Lieferant für Rohöl und Erdgas ist. 2022 hat sich deren Preisniveau abermals erheblich erhöht, da es große Bedenken über die Liefersicherheit an den Märkten gibt und russisches Rohöl und Erdgas zudem nach Möglichkeit wegen des Krieges gegen die Ukraine gemieden werden.
„Die nun erzielte Vereinbarung sieht ein Einfuhrverbot für russisches Öl über den Seeweg vor, was zwei Drittel der Lieferungen in die EU ausmacht“, so EU-Ratspräsident Charles Michel.
Sollten die Rohöl- und Erdgaslieferungen nach Deutschland wegen eines russischen Lieferstopps kurzfristig eingestellt werden, ein Importverbot auf dem Seeweg liegt seitens der Europäischen Union bereits vor, wären hiervon vor allem ostdeutsche Chemiestandorte betroffen, da diese in besonders großem Umfang direkt und indirekt über Pipelines aus Russland beliefert werden. Momentan strebt Deutschland ohnehin an, auf russisches Erdöl bis Ende 2022 zu verzichten.
Fazit
Der Chemiesektor steht 2022 vor der Herausforderung, dass der pandemiebedingte Lagerauffülleffekt langsam verpufft, aber gleichzeitig die Preise für die Grundstoffe der Chemikalien erneut ansteigen. Diese Preise können insbesondere von den der Basischemie nachgelagerten Chemiebranchen nur zum Teil an die Kunden weitergegeben werden. Dadurch sinkt die Gewinnmarge. Gleichzeitig erhöht sich jedoch der Preisdruck vonseiten der Abnehmer aus der Industrie wegen des eingetrübten Geschäftsklimas.
Der Ukraine-Konflikt stellt somit den Chemiesektor, der 2021 ein Profiteur der Coronavirus-Krise war, wegen des steigenden Rohölpreises bei einer gleichzeitig sinkenden Nachfrage vor große Herausforderungen und vor eine unsichere Zukunft.